#Digitalpakt, #BringYourOwnDevice

Aus fürs iPad im Klassenzimmer oder sozialpolitischer Impuls?

Wird ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen zur Bremse für iPads im Klassenzimmer oder liefert es wichtige sozial- und bildungspolitische Impulse?

Henrik Massow

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Die Digitalisierung deutscher Schulen ist und bleibt ein Trauerspiel.

Als Schulelternratsvorsitzender einer Grundschule im Umland von Hannover und dortiger Stadtelternratsvorsitzender begleite ich das Thema nun schon eine ganze Weile. Und doch bin ich immer wieder aufs Neue entsetzt, mit welchem Dilettantismus, welcher Planlosigkeit und Ignoranz Bundes- und Landespolitik das Thema bearbeiten (oder eben auch nicht).

Heute ist mir nun noch ein Gerichtsbeschluss (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 7 AS 66/19, 06.10.2020) unter die Augen gekommen, der geradezu plakativ dieses Versagen der Politik im Bereich “Digitalisierung an Schulen” aufzeigt.

Der Beschluss legt den Finger in mehrere Wunden und könnte so manche, aktuell in den Startlöchern stehende iPad-Offensive, durchaus noch mal in die ein oder andere Ehrenrunde schicken.

Zeit für eine etwas genauere Betrachtung.

Der Urteilsfall

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Der Urteilsfall klingt zunächst recht unspektakulär

Eine Schule in der Region Hannover hatte beschlossen, künftig in der Klassenstufe 6 eine sog. iPad-Klasse einzurichten, also eine Klasse bei der iPads im Unterricht eingesetzt werden sollten. Diese mussten die Eltern selber beschaffen und bezahlen.

In der Klassestufe war nun aber ein Kind, dessen Eltern im Leistungsbezug zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II standen; also umgangssprachlich Hartz 4 bezogen.

Die Beschaffung eines iPads durch die Eltern war entsprechend finanziell nicht möglich, so dass diese die Kostenübernahme beim Amt beantragten. Das Amt wiederum lehnte dies ab, und der Sachverhalt ging zu Gericht. Das Landessozialgericht lehnte mit seinem Urteil die Klage auf Kostenübernahme schließlich ebenfalls ab.

So weit so gut, oder schlecht — die sozialpolitische Diskussion um Hartz 4 will ich an dieser Stelle nicht führen. Was sich bis hierhin lediglich nach einer (von tausend weiteren) Detailfrage im Bereich des Leistungsbezuges klingt, könnte jedoch weitreichendere Folgen haben.

Denn zunächst haben die Richter zwar das betroffene Kind für meinen Geschmack eiskalt abserviert und das Urteil liest sich phasenweise wie ein neoliberaler Sprüchekalender.

Bei genauerer Betrachtung legen die Richter jedoch die Finger gnadenlos in mehrere Wunden und fordern die Politik wenig subtil dazu auf, endlich ihre Hausaufgaben zu machen.

In diesem Zusammenhang treffen sie dann auch gleich mehrere spannende Aussagen (hier mit meinen Worten wiedergegeben):

  • Ein Tablet muss in einer iPad-Klasse, wie bei einer Tafel oder einem Overheadprojektor, von der Schule bzw. vom Schulträger selbst gestellt werden.
  • Die Schulen können nicht einfach die Art der Endgeräte festlegen und damit grundsicherungsrechtliche Ansprüche formulieren.
  • Die Schule verstößt gegen gegen ihre Neutralitätspflicht, wenn sie nur einen bestimmten Hersteller duldet.
  • Die Schulen können die Eltern nicht (faktisch) zwingen, privatrechtliche Verträge mit Unternehmen abzuschließen, insbesondere wenn diese schulinterne Kosten weiter belasten.

Außerdem, wie schon gesagt, zeigen die Richter die gesamt vermurkste Politik in diesem Bereich sehr gut auf. Schauen wir uns das Elend also im Detail an.

Digitalisierung an Schulen — Wie Bund und Länder sich einen schlanken Fuß machen und Kommunen, Eltern und Schulen mit ihren Problemen alleine lassen…

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Der Urteilsfall ist im Grunde typisch für das, was wir aktuell in Sachen Digitalisierung an deutschen Schulen erleben. Nämlich einen merkwürdigen Mix aus

  • gutgemeinten Einzelaktionen,
  • Goldgräberstimmung bei einigen Dienstleistern,
  • totaler Fixierung auf Tablets (insbesondere iPads),
  • fehlender Gesamtstrategie von Seiten des Bundes und der Länder,
  • einem ganzen Strauß ungeklärter Rechtsfragen,
  • ungeklärte Finanzierungsfragen,
  • realitätsferne Hypothesen des Gesetzgebers

Mit sicherlich besten Absichten (und vielleicht auch mit guten Ergebnissen) hat in diesem Mix nun also eine Schule beschlossen, dass die Schüler einer Klasse im Unterricht unterstützend ein iPad benutzen müssen. Gleichzeitig war der Schulträger (Stadt, Gemeinde, Landkreis) scheinbar nicht gewillt oder in der Lage, die Tablets zu beschaffen. Diese mussten also von den Eltern bezahlt werden.

Fail #1: Bring your own device — feuchter Traum der Haushaltspolitiker, Alptraum für alle anderen

Und genau damit sind wir schon an einem Thema, bei dem ich nur noch mit dem Kopf schütteln kann. Bund und Länder haben recht schnell erkannt, dass Geräte, ob nun iPads, sonstige Tablets oder auch Laptops teuer sind.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass bis heute nicht wirklich geklärt ist, wer, wann, wie, welche Schulen mit digitalen Endgeräten zu welchen Konditionen ausstatten muss, darf, kann, soll…

Was der gemeine Politikprofi in solchen Fällen instinktiv wittert ist, dass er auf keinen Fall kann: “So liebe Eltern, jetzt mal die Lauscher spitzen und aufgepasst! Kauft den Kram für eure Kinder gefälligst selbst!”.

Geschmeidiger klingt da schon die Formulierung “Bring your own device”.

Diese Floskel klingt hipp und cool und lässt sich besser vermarkten. Das Argument: Dann könne jeder Schüler das Gerät benutzen, dass er schon von zu Hause gewohnt ist. Klingt doch einleuchtend, oder?

Wenn es nach den Haushaltspolitikern geht, wird es an Deutschlands Schulen daher auch definitiv auf dieses Modell hinauslaufen — sicher mit einzelnen sozialen Komponenten, aber doch im Wesentlichen mit Belastungen für die Eltern.

Die Probleme sind hier jedoch, jenseits der Finanzierungsfrage, umfangreich:

  • Wie stellen wir sicher, dass alle Kinder das gleiche Gerät haben?
  • Wie soll ein Lehrer unterrichten, wenn alle Schüler unterschiedliche Geräte nutzen? Das hat schon bei Taschenrechnern nie funktioniert.
  • Wie wird das ganze Thema Datenschutz und Datensicherheit gelöst, wenn die Endgeräte zugleich privat und in der Schule genutzt werden?
  • Wer darf welche Einstellungen am Gerät vornehmen/verlangen und kontrollieren?
  • Wie wird die Kompatibilität zu den Schul-Apps sicher gestellt?

Egal wo wir in Sachen Digitalisierung der Schulen hin greifen, immer wieder finden wir eine Bundes- und Landespolitik, die sich bei diesen Fragen wegduckt, keine Konzepte entwickelt bzw. nicht die notwendigen Ressourcen dafür bereitstellt, die nicht versucht, die wesentlichen fachlichen und juristischen Fragen zu beantworten, sondern Schulen, Schulträger, Eltern und Lehrer weitgehend allein stehen lässt und mit ihnen auch noch um jeden Euro feilscht.

Fail #2: Die Finanzierung digitaler Endgeräte wird auf die lange Bank geschoben

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Mangelnde politische Strategie

Der deutschen Politik fehlt seit Jahren jegliche größere Idee oder gar Vision (jenseits von Schuldenbremse und Exportorientierung, die offenkundig deutsche Obsession geworden sind). Vielmehr treten Minister und Abgeordnete zunehmend wie höhere Verwaltungsbeamte auf und das “geräuschlose Abarbeiten” von Themen ist zur obersten Tugend geworden.

Damit das geräuschlose Abarbeiten gelingt, verkommen Koalitionsverträge zur seitenweisen Aneinanderreihung von fachlichen Detailthemen einerseits und sprachlichen Floskel-Orgien, wie beim Thema Digitalisierung, andererseits.

Ersteres hat den Vorteil, dass öffentlichkeitswirksam die Umsetzung (“Abarbeitung”) großer Teile des Koalitionsvertrages verkündet werden kann, weil es Themen sind die ohnehin und seit Jahrzehnten still und leise von Abteilungsleitern in Ministerien erledigt werden.

Die andere Methode (Floskel-Orgien) bietet hingegen die Möglichkeit, sich nicht konkret festlegen und streiten zu müssen, so dass später selbst Minimalkompromisse und Symbolpolitik noch als große Leistungen verkauft werden können.

Im Bildungsbereich ist dies besonderes ausgeprägt und besonders fatal, denn hier können Bund, Länder und Kommunen wunderbar die Verantwortung einander revolvierend zuweisen. Föderalismus und Vielschichtigkeit des Bildungsbereichs bieten praktisch unbegrenzte Möglichkeiten nicht zuständig sein zu müssen.

Wo immer man als Elternvertreter beim Thema Digitalisierung das Gespräch sucht, verkommen diese Veranstaltungen zu Bullshit-Bingo.

Mantra-artig, werden die Begriffe Kooperationsverbot, Konnexitätsprinzip, Haushaltsdisziplin heruntergespult und ein

“Wir würden ja gern, aber….”

oder

“Das ist eindeutig Aufgabe der ….”

eingeflochten. Die Probleme sind in meiner Wahrnehmung wohl bekannt, die Kraftanstrengung ganzheitlicher, nachhaltiger Lösungen wird jedoch gescheut.

Unrealistische Finanzplanung

Wie stumpfsinnig die Bundespolitik handelt, haben die Richter in ihrem Urteil dann auch herausgearbeitet:

Die Bundesregierung hat übrigens bei der Berechnung des 5,5 Milliarden umfassenden Digitalschule-Pakets von Bund und Ländern im August 2020 einem Betrag von 150 EURO pro Endgerät zugrunde gelegt…

Das gleiche Dilemma zeigt sich an den Beträgen, die in den Hartz 4 Sätzen für Kinder veranschlagt werden. Das Sozialgericht weist diese mit 2,88 EURO monatlich für Datenverarbeitungsgeräte sowie System- und Anwendungssoftware (einschließlich Downloads und Apps) aus, so wie ferner einen Betrag von 2,64 EURO monatlich für Bild-, Daten- und Tonträger sowie ein Betrag von 2,88 EURO monatlich für sonstige Gebrauchsgüter für Schule, Büro, Unterhaltung und Freizeit.

Klar ist, mit solchen Beträgen werden wir bei Tablets und Laptops nicht hinkommen. Genauso klar ist auch, dass Finanzierungszusagen über 5 Jahre nicht weiterhelfen, schon gar nicht, wenn allein darüber schon zwei Jahre auf höchster politischer Ebene gestritten werden musste.

Die Idee, ein Schulneubau solle 30, 40, 50 Jahre halten mag stimmig sein. Die im Urteilsfall genannte Nutzungsdauer digitaler Endgeräte ist hingegen evident absurd.

Da von einer Lebensdauer der Geräte von sechs Jahren auszugehen sei, habe die Schule den Eltern mitgeteilt, dass sie für die Zeit, während derer die Kinder an dieser Schule seien, kein neues Gerät anschaffen müssten.

Bei mir hat jedenfalls bisher kein Laptop, kein Tablet, kein Smartphone je 6 Jahre durchgehalten. Display, Akku oder Ladebuchsen waren nach spätestens 4 Jahren hin, die Geräte den Anforderungen neuer Programme nicht mehr gewachsen oder sicherheitsrelevante Updates nicht mehr zu bekommen.

Wer Digitalisierung an Schulen will und wer jedem Schüler ein digitales Endgerät zur Verfügung stellen möchte, der muss einsehen, dass hierfür ein ständiger Finanzierungsbedarf erforderlich sein wird — ganz gleich wer diesen am Ende zu tragen hat.

Föderale Schuldzuweisungen

Das Problem der Finanzierung ist seit Jahren unverändert und lässt sich wie folgt skizzieren: Der Bund darf (und will?) nicht, nicht dauerhaft und/oder nicht vollständig für digitale Endgeräte aufkommen. Bildungssache ist schließlich Ländersache.

Die Länder können und wollen dies ebenfalls nicht, denn sie bekommen sonst recht schnell ein Problem mit ihren Haushalten. Das Stichwort ist hier die Schuldenbremse (die aus meiner Sicht ohnehin volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Unfug ist).

Auch an diesem Punkt zeigt das Urteil erschreckend präzise, welch ein Gezerre um die Finanzierung veranstaltet wird:

Die Parlamentsmehrheit hat die von vielen Stellen geforderte (vgl. z.B. Bundestagsdrucksache 19/18945) einmalige Erhöhung der Schülerbedarfspauschale für Kinder und Jugendliche einkommensarmer Haushalte zum Kauf eines schulgebundenen mobilen Endgeräts, um nach den Schulschließungen den online-Austausch mit den Lehrern zu ermöglichen, mit der Begründung abgelehnt, dies sei Aufgabe der Schulverwaltungen,…

Zuständig sollen also die Schulträger sein, i.d.R. also die Gemeinden und Landkreise. Und fairerweise muss ich anerkennen, dass ich an dieser Stelle bisher ausnahmslos willige Bürgermeister und Beigeordnete erlebt habe, die stets versuchen alles Mögliche möglich zu machen, deren Möglichkeiten jedoch in aller Regel verdammt klein sind.

Wer sich schon mal mit den Haushalten von (selbst vermeintlich wohlhabenden) Gemeinden beschäftigt hat, weiß wie leer die Kassen und wie klein die finanziellen Spielräume dort sind. Jede zusätzliche “freiwillige” Ausgabe geht unmittelbar zu Lasten einer anderen Ausgabe.

Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Gemeinden schlicht auf das Bundesland verweisen (müssen).

Da hilft es in der Praxis dann auch nicht, dass das LSG nun noch mal feststellt, dass die Finanzierung klar beim Schulträger liegt.

Folglich muss ein Tablet in einer iPad-Klasse […] von der Schule selbst gestellt werden. […] Entscheidet sich eine niedersächsische Schule zur Einrichtung von iPad-Klassen, muss sie nach dem Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 01.01.2013 den Erziehungsberechtigten sowie den volljährigen Schülerinnen und Schülern anbieten, Lernmittel gegen ein Entgelt auszuleihen, wobei Empfänger von Leistungen nach dem SGB II von der Zahlung des Entgelts freizustellen sind.

Sollte die Politik hierfür nämlich keine praktikable Regelung finden, wird die Digitalisierung der Schulen extrem abhängig von der jeweiligen kommunalen Finanzlage. Die sonst so gern hochgehaltene Chancengleichheit in der Bildung können wir dann definitiv abschreiben.

Fail #3: Gruseliges Durcheinander, statt schulrechtliche Klarheit

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Die meisten Projekte zu digitalen Endgeräten in Schulen sind immer noch Pilot- und Einmal-Projekte. Sie sind jedenfalls immer Ergebnis langwieriger Prozesse zwischen Schulen, Schulträgern und Sponsoren/ Fördermittelstellen.

So einfach es daher auch sein mag, die Finanzierungspflicht ganz allgemein den Schulträgern oder den Eltern zuzuweisen, so wenig hilft dies in der Praxis, wenn unklar ist, wann und in welchem Umfang die Schulen die Nutzung solcher Geräte vorschreiben können.

Deutlich wird auch dies im Urteilsfall:

Nach Aussage des […] Koordinator[s] für Tablet-Klassen an der Oberschule H., steht aber fest, dass die iPad-Klassen ausschließlich mit Zustimmung der Eltern eingeführt wurden. Hätten die Eltern der Klägerin der Einführung von schülereigenen iPads nicht zugestimmt, hätte die Klägerin auch kein iPad anschaffen müssen. Die Schule hätte dann eine ganz normale Schulklasse eingerichtet, in die die Klägerin gekommen wäre.

Ich bin mir selbst nicht sicher, wie sinnvoll der Einsatz von Tablets im Unterricht ist. Nimmt man das politische Ziel der Digitalisierung der Schulen aber ernst und trägt in politischen Diskussionen immer wieder vor, dass

  • die Herausforderungen des digitalen Wandels auch eine spezifische digitale Bildung erfordern
  • der Umgang und das Lernen mit digitalen Medien Schlüsselkompetenzen für eine digital geprägte Welt vermitteln
  • auf die Qualifikationsanforderungen der digital geprägten Arbeitswelt vorbereitet werden soll

(vgl. ebenfalls den Urteilstext), dann geht eines ganz sicher nicht. Nämlich die Ausstattung der Schulen/Schüler von den Zufälligkeiten der sozialen Struktur des Klassenverbandes und dem Willen der jeweiligen Schulen und Eltern abhängig zu machen.

Die Alternative hierzu wäre eine soziale Separation in Klassen und Schulen, die nur noch von wohlhabenden Schülern besucht werden können und solchen, die vom Rest besucht werden — eine Zwei-Klassen-Bildung.

Das LSG findet schlägt erschreckenderweise dies dann auch vor:

Die Teilnahme an einer iPad-Klasse war damit weder schulrechtlich erforderlich noch ist sie grundsicherungsrechtlich in der Weise geschützt, dass alle SGB II — Leistungsempfänger vom Jobcenter ein Tablet erhalten müssen. Es darf nicht übersehen werden, dass der SGB II — Gesetzgeber nicht jede Kostenübernahme anlässlich der Entscheidung der Eltern, welche Schule mit welchem Schwerpunkt ihre Kinder besuchen sollen, in Aussicht stellt, wie die differenzierte Regelung für die Schülerbeförderungskosten in § 28 Abs. 4 SGB II zeigt. Der Klägerin wäre deshalb auch zuzumuten, in eine Klasse ohne iPad-Nutzung zu wechseln, zudem der Senat vor diesem Hintergrund sogar einen Schulwechsel nicht von vornherein als unzumutbar ansieht.

Jenseits derartiger sozial stigmatisierender Ansichten des Sozialgerichtes, zeigt es dennoch gut auf, wo das Problem liegt. Es fehlt an schulrechtlich klaren Regelungen, die das bestehende gruselige Durcheinander ordnet.

Fail #4: iPad der heilige Gral

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Das oben erwähnte Thema “gleiches Gerät” hat man im Urteilsfall versucht dadurch zu lösen, dass “empfohlen” wurde, eine iPad 9.7 als Neugerät mit 32 GB Speicher zu erwerben.

Auch dies wieder so ein Punkt aus dem oben erwähnten Grusel-Mix der (fehlenden) Schulpolitik.

  • Was heißt denn “empfohlen”?
  • Was, wenn das Kind doch ein anderes Gerät hat?
  • Kann jede Klasse von Jahr zu Jahr was neues festlegen?
  • Kann jede Schule was festlegen?
  • Was machen Lehrer, die an mehreren Schulen unterrichten?

Und immer wieder stelle ich mir die Frage: Warum müssen es in den Schulen eigentlich immer iPads werden? Aus meiner Erfahrung in etlichen Diskussionen an Schulen, lauten die Antworten meist, dass iPad

  • sei eben hip und modern,
  • sei halt leicht, kann also überall mit hingenommen werden,
  • könne jeder einfach bedienen,
  • sei aus Sicht des Daten- und des Virenschutz der sicherste Weg,
  • sei das Gerät, für dass es die besten Schul-Apps gäbe…

Ich will das Thema an dieser Stelle nicht auswalzen, es gäbe hierzu so unendlich viel zu diskutieren. Erschreckend ist vielmehr, was schulpolitische Diskussionen, an dieser Stelle häufig offenbaren. Nämlich, dass die entscheidenden Fragen überhaupt nicht beantwortet werden:

  • Was wollen wir mit den iPads eigentlich anfangen?
  • Was soll Digitalisierung an Schulen konkret erreichen?
  • Können wir abstrakte Ziele durch die Verteilung von iPads überhaupt erreichen?

Um eines deutlich zu sagen: Es gibt unzweifelhaft tolle Dinge, die mit iPads im Unterricht möglich sind und auch praktiziert werden. Gleichzeitig gibt es aber mindestens genauso viele Aspekte wo ein iPad bzw. Tablet ganz sicher nicht das Mittel der Wahl ist.

Trotz externer Tastatur möchte ich keinen längeren Aufsatz auf einem Tablet schreiben. Trotz cooler Apps, möchte ich keine umfangreichen Datenanalysen auf einem Tablet machen. Coole Features hin oder her, programmieren auf einem Tablet ist ein Alptraum. Das effiziente Arbeiten mit mehreren Quellen oder gar das Vergleichen dieser, ist auf einem Tablet eine Qual. Das Anschließen externer Geräte (z.B. für Physik oder Chemie) ist auf Tablets viel komplexer als auf einem PC/Laptop.

Für mich steht daher fest, dass es die vornehmste Aufgabe der Kultusministerien wäre, endlich vernünftige pädagogische Konzepte zu erarbeiten. Was wollen wir mit digitaler Bildung erreichen? Was versprechen wir uns davon? Welche Konzepte sind möglich?…

Fail #5: Goldgräberstimmung und Verzwergung der Politik

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Dadurch dass Schulen, Eltern und Schulträger weitgehend von der Politik allein gelassen werden, sind in den letzten Jahren zunehmend privatrechtliche Anbieter in diese Lücke gesprungen.

Ich will klar sagen, dass ich absolut nichts dagegen habe, wenn Unternehmen versuchen im Bildungsbereich erfolgreich zu sein. Es spricht nichts dagegen, wenn Firmen Apps für den Bildungsbereich programmieren. Es ist absolut legitim, wenn Schulbuchverlage, dem Zeitgeist und den technischen Möglichkeiten folgend, versuchen ihr Geschäft auf digitalem Wege zu betreiben. Rund um die Bildung hat es schon immer einen breiten Kosmos kommerzieller Anbieter gegeben.

Problematisch wird es aber, wenn plötzlich eine ganze Industrie in die Schulen drückt und dort bildungspolitische Fakten schafft. Insbesondere die Kultusministerien versagen hier. Da sie keine/kaum konzeptionelle(n) pädagogische(n) Ausarbeitungen erstellen und konsistente schulrechtliche Vorgaben fehlen, schaffen sie ein gefährliches Vakuum.

Die pädagogischen und didaktischen Konzepte, die Art der Stoffvermittlung, die Unterrichtsinhalte, all dies muss aus meiner Sicht klar der Politik vorbehalten bleiben. Doch genau hier droht aktuell die normative Kraft des Faktischen zuzuschlagen.

Sind erstmal Standards von externen Anbietern in die Schulen getragen, wird es schwer, hiervon wieder abzugehen, insbesondere, wenn dies abermals Geld kosten würde.

Es muss ferner klar sein, wie, ob und welche Daten von Schülern durch App-Anbieter verarbeitet werden (dürfen). Schüler, Eltern und Lehrer müssen außerdem vor lizenzrechtlichen Risiken geschützt werden. Welche Apps und Dienste dürfen überhaupt verwendet werden? Wie werden Schüler, Eltern und Schulen vor schwarzen Schafen geschützt? Wie sieht es mit dem insolvenzrechtlichen Schutz bei langfristigen Verträgen aus.

Erschreckend zu sehen ist, wie weitgehend sich hier derzeit Mono- und Oligopole herausbilden und bestimmte Firmen versuchen im Bereich der Beschaffung und Bereitstellung von Geräten (faktische) Kontrahierungszwänge zu schaffen. Dass Schüler und Eltern mit Finanzierungsmodellen durch externe Anbieter konfrontiert werden und rechtlich komplexe Haftungs- und Selbstbeteiligungsregelungen etabliert werden sollen, lässt nichts Gutes ahnen.

Auch hier sind die Ausführungen des Gerichts übrigens sehr erhellend.

Das bedeutet aber, dass Bildungsgerechtigkeit die digitale Teilhabe aller Schüler einkommensschwacher Familien voraussetzt und nicht nur der SGB II –Leistungsbezieher. Das gilt umso mehr, als die Schulen sich für hochpreisige Geräte einer einzelnen Firma entschieden haben und der dafür aufzuwendende Betrag je nach Schule für das im Wesentlichen gleiche Gerät (32 GB) erheblich voneinander abweicht.

Interessant ist dabei, dass im Urteilsfall die Gesellschaft für digitale Bildung auftaucht, die nach meiner persönlichen Wahrnehmung genau einer dieser Anbieter ist, die zur Zeit versuchen, mit einem riesigen Angebotskorb in die Schulen hereinzudrücken und durch kostenlose oder sehr günstige Workshops/Projekte sehr schnell starke Abhängigkeiten schaffen könnten.

Dass dies nicht unbedingt im Interesse der Eltern und des Sozialstaats sein muss, machen die Richter in ihrem Urteil dann auch deutlich.

[…] unterschiedlich ist auch die Handhabung durch die jeweilige Schule, die nicht immer — wie vorliegend — ihre Verantwortung auf die Eltern bzw. auf das Jobcenter abwälzt. So hat z.B. die Integrierte Gesamtschule M. (Berufungsverfahren L 7 AS 219/19) neben der Option eines Sofortkaufes bzw. Ratenkaufes über die Gesellschaft für digitale Bildung vorbildlich die Möglichkeit eines privatrechtlichen Leihvertrages mit der Schule selbst zur Verfügung gestellt. Dabei bleibt das Leihgerät Eigentum der Schule und muss lediglich auf Aufforderung der Schulleitung während der Ferien in der Schule verbleiben. Von den Schülern zu entrichten ist dafür eine einmalige Leihgebühr von 50 EURO, die bei endgültiger Rückgabe des Gerätes erstattet wird.

Vermutlich ist es nicht Schuld der genannten Firma, dass im Urteilsfall diese Möglichkeit nicht bestand. Bedenkt man aber die sehr unterschiedlichen kommunalen Finanzierungsmöglichkeiten, zeigt sich, wie schnell hier bei Schüler und Eltern der Druck entstehen kann, privatrechtliche Verträge mit diesen Firmen einzugehen.

Zu den finanziellen Aspekten schreibt das Gericht dann auch das Folgende.

Zweifel an der Unabweisbarkeit des Bedarfs bestehen auch deshalb, weil infolge der Abwicklung durch einen externen Dienstleister die Klägerin nicht nur die Kosten für die Anschaffung eines Tablets zu zahlen hat, sondern auch für interne Kosten der Schule aufkommen müsste […]. Mit dem im Vergleich zum üblichen Handelspreis überhöhten Betrag zahlt der Schüler nicht nur den Wert des Tablets, sondern auch Leistungen, die die Fa. Apple bzw. die Gesellschaft für digitale Bildung GmbH an die Schule erbringt, z.B. die Steuerung über einen Zentralrechner, Administration, Konfiguration, Verwaltung von Apps und iClouds, Betreuung und Schulung des Lehrkörpers.

Die Urteilsknaller sind für mich jedoch die absolut unmissverständlichen Aussagen des Gerichts, zum Neutralitätsgebot der Schulen. Das Gericht bringt hier auch die, von mir weiter oben dargelegten Zweifel auf den Punkt.

Es kommt hinzu, dass die Oberschule H. durch die Vorgabe, nur Geräte eines bestimmten Herstellers zu dulden, gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen hat. Anders als bei den Schulbüchern, die jedes Schuljahr gewechselt und somit jederzeit bei einem anderen Verlag bestellt werden können, ist diese Option bei einem iPad und den damit durch Lizenz verbundenen Anwendungen eines bestimmten Herstellers für die Folgejahre nicht gegeben. Des Weiteren wird dieser Hersteller durch die Schule nicht nur mit einer exklusiven, ohne jegliche Ausschreibung veranlassten Schulausstattung begünstigt; vielmehr verschafft ihm die Schule durch die Produktplatzierung seines Einstiegsgeräts am Markt zu Lasten der Mitbewerber einen zusätzlichen Kundenstamm, damit die Schüler später weitere, teure; aber mit dem iPad vernünftigerweise zu verbindende Produkte der Fa. Apple (z.B. iPhone, Apple-Watch) erwerben können. Dieser Rechtsbruch darf nicht durch den Einsatz öffentlicher Mittel nach § 73 SGB XII unterstützt werden.

Was folgt daraus?

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Ich bin kein Jurist und schon gar kein Experte für Sozialgesetzgebung, doch gehe ich davon aus, dass das Urteil selbst keine unmittelbare Bindungswirkung für Schulen und Schulträger entfaltet. Gleichzeitig macht aber sehr deutlich, dass das Gericht nicht gewillt ist, die Kosten der Endgerätebeschaffung bei Hartz 4 Empfängern per se aus den Mitteln des SGB II zu übernehmen.

Dies insbesondere dann nicht, so lange die Politik die schulrechtlichen Vorgaben nicht klar ausgestaltet, auf die Eltern indirekt schulinterne Kosten abgewälzt werden sollen, die Neutralitätspflichten der Schulen verletzt und Eltern in privatrechtliche Verträge gedrückt werden.

Statt dessen verpflichtet das Gericht die Schulträger bzw. Schulen, sich um die Beschaffung und Bereitstellung entsprechender Endgeräte zu kümmern. Wie erwähnt, ist dies wohl keine unmittelbare Verpflichtung, wird jedoch zu einer solchen, sobald Kinder aus Hartz 4 Familien in den jeweiligen Klassen sind.

Das Urteil zeigt zudem erschreckend deutlich, wie unklar, unbefriedigend und unvollkommen das Thema Digitalisierung der Schulen durch die Politik angegangen wird.

Am Ende steht daher für mich fest: Soll dieses Urteil nicht zum weiteren Stolperstein bei der Digitalisierung werden, müssen Bund und Länder endlich ihre Hausaufgaben machen, klare Regeln für die Beschaffung und Umsetzung der Digitalisierung festlegen und die Finanzierung dauerhaft, sachgerecht und sozialverträglich regeln. Denn auch dies hat das LSG deutlich gemacht: Es gibt viele Eltern, die keinen Hartz 4 Bezug haben, für die die Beschaffung von Tablets aber dennoch ein dickes Brett sein dürfte!

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